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herrlich nahezuEng nach Thomas Mann:Mit dem Deutsch-Gk ist es folgendermaßen bestellt. Der Mensch fühlt eine seelische Missstimmung in sich entstehen, die sich rasch vertieft und zu einer hinfälligen Verzweiflung wird. Zu gleicher Zeit bemächtigt sich seiner eine physische Mattigkeit, die sich nicht allein auf Muskeln und Sehnen, sondern auch auf die Funktionen aller inneren Organe erstreckt, und nicht zuletzt auf die des Magens, der die Aufnahme von Speise mit Widerwillen verweigert. Es besteht ein starkes Schlafbedürfnis, allein trotz äußerster Müdigkeit ist der Schlaf unruhig, oberflächlich, beängstigt und unerquicklich. Das Gehirn schmerzt; es ist dumpf, befangen, wie von Nebel umhüllt und von Schwindel durchzogen. Ein unbestimmter Schmerz sitzt in allen Gliedern. – Dies ist die Introduktion. Dann gibt ein heftiger Denkanfall, der den ganzen Körper durchrüttelt und die Zähne gegeneinander wirbelt, das Zeichen zum Einsatze des Unterrichts, der sofort die höchsten Grade erreicht. Der Puls rast; er hat bis zu hundert Schläge in einer Minute. Der Ausdruck des Gesichtes wird dumm. Der Mund fängt an, offen zu stehen, die Augen sind verschleiert und ohne Teilnahme. Das Bewusstsein ist verdunkelt, Schlafsucht beherrscht den Kollegiaten und oft versinkt er, ohne wirklich zu schlafen, in eine bleierne Betäubung. Dazwischen erfüllen seine Irrreden, seine lauten, erregten Phantasien das Zimmer. Sind die lauten Delirien verstummt, kann niemand sagen, ob der Geist des Grundkurslers in leere Nacht versunken ist oder ob er, fremd und abgewandt dem Zustande des Leibes, in fernen, tiefen, stillen Träumen wandelt, von denen kein Laut und kein Zeichen Kunde gibt. Der Grundkursler weiß nicht, ob der Kurs, den er Deutsch-Gk nennt, in diesem Falle ein im Grunde belangloses Unglück bedeutet, die unangenehme Folge einer Stundenplanwahnsinns, der sich vielleicht hätte vermeiden lassen, und dem mit den Mitteln des Schulschwänzens entgegenzuwirken ist – oder ob es ganz einfach eine Form der Quälerei ist, das Gewand des Deutschunterrichts, der ebenso gut in einer anderen Maske erscheinen könnte, und gegen den kein Kraut gewachsen ist. Mit dem Deutsch-Gk ist es folgendermaßen bestellt: In die fernen Sehnsüchte, in die glühende Verlorenheit des Kollegiaten wird der Lehrer hineinrufen mit unverkennbarer, erdrückender Stimme: „Ihr seid heute so lethargisch!“ Hart und frostig wird diese Stimme den Geist auf dem Weg erreichen, auf dem er vorwärts wandelt, und der in die Zukunft, das Leben und den Frieden führt. Aufhorchend wird der Mensch diese grelle, mörderische und ziemlich höhnische Mahnung zu „Arsch“, Einbildung und Ausbildung vernehmen, die aus jener Gegend zu ihm dringt, die er so weit zurückgelassen und schon vergessen hatte. Wallt es dann auf in ihm, wie ein Gefühl der feigen Pflichtversäumnis, der Scham, der erneuten Energie, des Mutes und der Freude, der Liebe und Zugehörigkeit zu dem spöttischen, bunten und brutalen Gebilde, das er im Rücken gelassen: Wie weit er auch auf dem vertrauten, heiteren Pfade fortgeirrt sein mag – er könnte umkehren und abstumpfen. Aber zuckt er zusammen vor Furcht und Abneigung bei der Stimme des Lehrers, die er vernimmt, bewirkt diese Erinnerung, dieser listige, herausfordernde Laut, dass er den Kopf schüttelt und in Abwehr die Hand vor sich streckt und sich aus der Schule hinaus flüchtet auf dem Wege, der sich ihm zum Entrinnen eröffnet hat... Nein, es ist klar, dann wird er leben!
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